Within The Tarn’s Eyrie II

Mithrandriel und Sir Dambal con Callera

Mithrandriel und Sir Dambal con Callera: Was als Audienz beim Administrator beginnt, wandelt sich zum Gespräch zwischen Vater und Tochter.

Keh’ra Var, 9. Monat (I/5). Pflichtbeflissen hatte ich noch am Abend meiner Ankunft in Keh’ra Var beim Präfekten ein förmliches Gesuch um eine Audienz bei Sir Dambal, dem Administrator des Außenpostens, eingereicht. Sir Dambal ist ein ebenso charismatischer wie unprätentiöser Regent – und zudem Echions Vater. Echion hatte mir schon anlässlich meines allerersten Aufenthalts in Keh’ra Var angetragen, ich könne jederzeit ohne die sonst üblichen Förmlichkeiten bei seinem Vater vorstellig werden. Obgleich ich wusste, dass er Recht hatte, zumal die Gepflogenheiten in Keh’ra Var weit pragmatischer und ungezwungener als andernorts sind, widersprach solch legeres Verhalten meinem tief verwurzelten Verständnis vom Gebaren gegenüber einem Herrscher und Altvorderen unserer Kaste und vor allen Dingen dem Gebaren einer Frau gegenüber einem Manne, den Natur und Götter ungeachtet seines Amtes und Standes per se über sie gestellt haben.

Echion schmunzelte amüsiert als ich ihm von meiner Vorsprache beim Präfekten berichtete und er hierbei der für einen Außenstehenden kaum erkennbaren Anzeichen meiner Nervosität gewahr wurde. Ihm, dem Hüter und Halter meines Herzens, bleibt weder das von meinem nordischen Akzent eigentlich völlig überlagerte leichte Vibrieren meiner Stimme in solchen Situationen verborgen, noch die unscheinbaren Gesten und sonstigen Signale meines Körpers. Echion vermag meine Gestik und Mimik so treffsicher zu analysieren und zu deuten wie die Hypothesen der philosophischen Standardwerke unserer Kaste. Für einen Moment hatten sich wohl reflexartig ein rebellisches Funkeln in meinen Augen und stummer Widerstand in meiner Körpersprache gezeigt, als mir wieder eindrucksvoll bewusst wurde, welche unumschränkte Macht dieser Mann über mich hatte, obwohl ich weder de jure seine Gefährtin noch seine Sklavin war. Doch auch diese meine Reaktion war Echion so vertraut wie sein eigener Tunikabeutel. Und wie stets bedurfte es daher nur eines liebevollen Lächelns seines Mundes und Auges und einer zärtlichen Berührung seiner starken Hand an meiner Wange, dass jedweder Widerstand von einer Ihn auf die andere brach, ich reumütig den Blick senkte und meinen Kopf, Nähe und Geborgenheit suchend, an seine Brust schmiegte. Es fühlt sich gut und richtig an, dass ich Echion so zur Gänze gehöre; dass er der den Augen der Außenwelt verborgene doch vollkommene Herr meines Herzens, meiner Seele und – Exculpo! – meines Feuers ist. Eine Kraft bindet mich an ihn, die stärker ist als der Schwur einer Gefährtin oder der Kragen einer Sklavin: es ist das unsichtbare Band, zart wie Seide und zugleich stark wie Stahl, das die Götter um den Hals einer freien Frau und in die Hand des Mannes legen, der sie vor Tod und Sklaverei bewahrt hat. Es ist einerlei, ob sie sich ihm, wie es Natur und Brauch gebieten, unterwirft bzw. er ihre Unterwerfung annimmt. Sie wird auf immer ihm gehören, denn nach nichts sehnt sie sich fortan mehr!

Am nächsten Morgen bereits überbrachte man mir die Nachricht, dass meine Audienz bei Sir Dambal gewährt sei, und noch in derselben Ahn betrat ich den Amtssitz des Administrators, der mich zu meinem Erstaunen persönlich in Empfang nahm. Zwar war ich von den bisherigen Begegnungen mit Dambal bereits gewohnt, dass er – jedenfalls mir gegenüber – eine ungezwungene Konversation pflegt; doch als er mich, noch ehe die ersten offiziellen Worte gewechselt waren und als wäre es die größte Selbstverständlichkeit, mit „Duhter“, dem nordischen Wort für „Tochter“, ansprach, versagten mir vor Aufregung die Stimme und beinahe auch die Knie. Aye freilich war mir klar, dass ihm nicht verborgen geblieben war, wie ich für seinen Sohn empfinde, und dass Echion mich zu seiner Gefährtin erwählen möchte. Und hatte Dambal mir nicht wiederholt signalisiert und beim letzten Mal sogar auf den Kopf zugesagt, dass er diese Liaison mehr als begrüßt? Dennoch war ich in freudiger Weise wie vom Blitz gerührt, nun, da kein Zweifel mehr bestand, dass Dambal mich als Gefährtin seines Sohnes akzeptierte und bereits jetzt wie diese behandelte. Meine Nervosität hatte sich in eine entzückte Aufregung gewandelt, und am liebsten wäre ich auf der Stelle zu Echion geeilt, hätte mich in seine Arme geworfen und ihm berichtet, was geschehen war. Doch der Anstand gebot es, dass ich mein geflügeltes Herz im Zaume hielt und Dambal meinen Bericht erstattete. Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgte er, was ich von unserem Besuch in der Oase der Silbernen Steine erzählte, insbesondere bezüglich des Interesses der dortigen Herrscherin an der Lieferung von Blackwine. Dambal fragte detailliert nach, war auch an meiner persönlichen Einschätzung interessiert und kombinierte meine Informationen mit denen, die ihm aus anderen Quellen bereits zugetragen worden waren. Ich merkte, dass er noch im Verlauf unserer Unterhaltung Pläne schmiedete. Schließlich leerte er mit zufriedener Miene seinen Blackwinebecher und wies mich an, umgehend mit den Vorbereitungen für eine Reise in die Stadt Tor, am varwärtigen Rande der Tahari gelegen, zu beginnen. Echion und ich würden ihn nebst einer erlesenen Reisegemeinschaft dorthin begleiten, von wo aus die weitere Route mit einer der großen Karawanen ins Herz der Tahari führen solle. Ich versicherte Dambal, noch in derselben Ahn mit den Reiseplanungen und –vorbereitungen zu beginnen. Dieser jedoch quittierte meinen Tatendrang mit einem sanften Lächeln, dem Anerkennung und Zufriedenheit innewohnten, und meinte: „Ruhe Dich zunächst aus von den Strapazen der Reise, ma Duhter, und genieße die Annehmlichkeiten Deines neuen Heims.“ Ich dankte Dambal für alles, was Keh’ra Var mir an Gutem angedeihen lässt, und empfahl mich – wohl wissend, dass ich bei meinem Bericht eine einzige Sache unerwähnt hatte lassen: den wichtigsten Grund meiner Anwesenheit in Keh’ra Var…